Hörbild
ORF 2015
Länge: 53’53“
Der Name Käthe Leichter ist mit der großen Zeit der österreichischen Sozialdemokratie verknüpft. Von ihrem Leben und Wirken wissen heute nur mehr wenige. Sie engagierte sich schon früh für die Ausbildung und berufliche Lage der Frauen. Ihre Studien zur Frauenarbeit in der Ersten Republik sind bahnbrechend, ihre Analysen und ihre Forderungen von bestürzender Aktualität.1934 gründete sie zusammen mit ihrem Mann, dem Journalisten Otto Leichter, die Revolutionären Sozialisten. 1942 wurde die jüdische Widerstandskämpferin im Konzentrationslager Bernburg/Saale mit Giftgas ermordet.
Das Porträt dieser Pionierin der österreichischen Frauenbewegung in Szenen und Erzähltexten wurde vom ORF zum 120. Geburtstag produziert.
Stimme 1 – Gefängniszelle: Käthe Leichters Lebenserinnerungen
Döbling ist gewöhnlich als vornehmer Bezirk, als Villenviertel der Reichen bekannt. Man ahnt nicht, welche Elendsviertel es dort, zumal im Krieg, gab. Unsere Kinder kamen aus zwei Teilen des Bezirkes in den Hort. Vor allem aus der so genannten Krim, dem Proletarierviertel, das sich zwischen Kaasgraben und Krottenbachstraße erstreckte. Dort waren die beiden großen Fabriken: Gräf & Stift und Bensdorp, dort wohnten Arbeiter, aber damals auch viel richtiges Lumpenproletariat, im Volksmund Krimineser genannt.
Außenatmo. Glocke der Krimkirche läutet. Kinderstimmen.
Stimme 1 – Gefängniszelle: Käthe Leichters Lebenserinnerungen
Die Kinder waren besser dran als die Favoritens oder Ottakrings, weil sie dem Wienerwald näher waren und bessere Luft hatten; schlechter dran, weil sie nichts von der Solidarität und Selbsthilfe anderer Proletarierbezirke zu spüren bekamen. Jeder war sich und seinem Elend selbst überlassen. Die Mütter waren Bedienerinnen, Wäscherinnen, Näherinnen, die Väter wurden zu Gelegenheitsarbeiten verwendet. Für die Kinder zerfiel die Welt in die der Herrschaften, von denen man gelegentlich etwas abbekam, in die Welt von Glanz, Luxus, Wohlleben, das man durch Gitterfenster beobachten konnte, und in die eigene, armselige, voll Elend. Was hatte ich zu tun, um meinen sonst so frischen Buben das unterwürfige Küss’ die Hand und Vergelt’s Gott abzugewöhnen!
Entstanden ist das Stück ursprünglich für eine szenische Leseperformance zum 70. Todestag 2012 und wurde von der Autorin im Parlament, in der Bibliothek der Arbeiterkammer und anderen Orten aufgeführt.