Das Mädchen von Ravensbrück

Roman
Verlag Braumüller 2012

1934. In Wien herrscht Bürgerkrieg. Mitten in den Unruhen bewegt sich ein kleines Mädchen, die achtjährige Leni. Panzer belagern den Gemeindebau, wo sich die Widerständler verschanzt halten. Leni geht an ihnen vorbei, in den Händen die schwere Milchkanne mit Suppe und Knödel für die Kämpfer. Niemand hält sie auf.

Es ist die erste verbotene Aktion, an die sie sich erinnern kann. Die Mutter hat sie geschickt.

Nach dem Tod ihrer Mutter übernimmt die 15-jährige Leni die Arbeit bei der Roten Hilfe. Ein Jahr später wird sie verhaftet, ihre Gruppe ist verraten worden.

Nur ihre Jugend rettet sie vor dem Schafott. Sie kommt in das Konzentrationslager Ravensbrück.

Leni überlebt und kehrt in ihre Heimatstadt zurück, das zerstörte Wien, wo es den Leuten nicht gut gegangen ist, wo keiner hören will, was in den KZs geschah, so wie sie vorher nicht sehen wollten, welche Untaten die Nazis vor aller Augen begingen.

Die Ähnlichkeit mit lebenden oder verstorbenen Personen ist nicht zufällig schreibt Susanne Ayoub am Beginn ihres neuen Romans. Er handelt vom besseren Österreich, den Schicksalen österreichischer Frauen im Widerstand gegen den Nationalsozialismus.

„Walter“, sagte Leni mit fester Stimme. Sie saß vor dem Schreibtisch auf dem Vernehmungsstuhl und er dahinter, neben der offenen Schublade, aus der er seine Peitsche ab und zu hervorholte und spielerisch zwischen den Fingern drehte. Jetzt ließ er sie auf die Schreibtischplatte fallen. Es machte ein hässliches, metallisches Geräusch. Leni sah nicht hin, sie wollte nicht an die Schläge denken. Er musste ihr glauben. Wenn er ihre Angst spürte, war es vorbei.

„Das ist der Name. Walter heißt der Mann, der mich da hineingezogen hat.“

„Aha.“ Er stand auf und kam zu ihr. „Du Schlampen.“ Er dehnte das Wort genießerisch. „Der Walter also, was hast du mit dem aufgeführt? Hast du es mit ihm getrieben?“ Er packte sie am Arm und schüttelte sie. „Walter gibt’s viele. Walter und wie weiter? Und trau dich ja nicht, noch einmal den Schiller anlügen!“

„Walter Suchanek“, stieß Leni hervor.

Er riss sie am Arm in die Höhe. „Ja, warum denn nicht gleich, du Luder. Wir haben unsere Zeit nicht gestohlen. Walter Suchanek.“ Er drückte auf den Klingelknopf.

„Das ist ein Geständnis. Du wirst jetzt alles sagen, was du weißt. Aber dalli.“

Leni nickte gequält. Sie spürte die Nässe an ihren Schenkeln. Sie wollte die Augen schließen, weit weg sein von diesem grauenhaften Menschen, der sie in ihrer Not nur verhöhnen würde. Jetzt fiel sein Blick auf die Sitzfläche ihres Stuhls, den roten Fleck, den sie dort hinterlassen hatte. Zwischen ihren Beinen tröpfelte das Blut auf den Fußboden.

„Pfui Teufel!“ Angewidert zog er seine Hand von ihr zurück. „Drecksau, das putzt du weg, schau, dass das wegkommt, sonst brech’ ich dir das Kreuz.“

Er schrie, bis die Tür aufging und sein Kollege, der ihr den Zahn ausgeschlagen hatte, hereinschaute. „Macht sie wieder Mandln?“, fragte er erwartungsvoll.

Schiller ging zu seinem Platz am Schreibtisch zurück. „So eine kleine Gedächtnisstütze wirkt Wunder“, antwortete er. „Jetzt ist ihr doch was eingefallen. Wir können das Protokoll machen.“

Er warf einen mürrischen Blick auf Leni, die versuchte, das Blut mit ihrem Taschentuch wegzuwischen.

„Aber vorher gib ihr einen Fetzen zum Putzen. Das ist ja eine Zumutung.“