Eichmanns Erben

Theaterstück (Koautor Kurt Raubal)
UA Kunsthalle Krems 1997

"Ich habe gehorcht. Egal, was man mir befohlen hätte, ich hätte gehorcht. Ich habe gehorcht, ich habe gehorcht."
„Ich habe gehorcht. Egal, was man mir befohlen hätte, ich hätte gehorcht. Ich habe gehorcht, ich habe gehorcht.“

Das Theaterstück „Eichmanns Erben“ von Susanne Ayoub und Kurt Raubal ist 1997 entstanden und wurde im Oktober und November des gleichen Jahres in der Kunsthalle Krems und in Langenlois uraufgeführt. In verschiedenen Fassungen wurde es inzwischen mehrmals gezeigt, zuletzt als die Leseperformance mit Livemusik: „Eichmann im Jenseits“, 2008.

„Eichmanns Erben“ handelt von der großen Politik und den kleinen privaten Verhältnissen – ein Kaleidoskop von Bildern, Figuren und Geschichten. Knappe, fragmentarische Szenen spannen den Bogen von der österreichischen Nachkriegszeit bis zur Gegenwart.

 

„Ich habe gehorcht. Egal, was man mir befohlen hätte, ich hätte gehorcht. Heute hat man sich zu verantworten deswegen, weil man eingedenk des Eides gehorcht hat. Hätte ich aber damals nicht gehorcht, wäre ich damals bestraft worden. Also wie’s auch immer ausläuft, schlecht ist es auf jeden Fall, wenn man irgendwie einen Eid leistet.“

 

Dieses Zitat von Adolf Eichmann steht am Anfang des Stückes. Der Krieg ist vorbei, aber die Eichmannsche Gesinnung lebt weiter. In vielerlei Gestalt, damals wie heute:

  • Der kleine Beamte, der in der Abteilung Opferfürsorge Dienst nach Vorschrift macht;
  • die Hausmeisterin, die mit der KZ-Nummer der Heimkehrerin ihr Glück im Lotto versucht;
  • der Ariseur, der sich als Opfer der Verhältnisse fühlt;
  • der Schüler, der seinen Lehrer fragt, warum die Menschen am Heldenplatz so begeistert waren;
  • die junge Frau, die nicht weiß, was Juden sind;
  • die Nachfahren, die aus dem Dilemma schuldlos-schuldig nicht herausfinden und die anderen, die nichts mehr davon hören wollen.

 

Skandal in Langenlois
Skandal in Langenlois
Eichmann im Jenseits
Eichmann im Jenseits

 

HEIMKEHR / KÖSTLERGASSE
Anna steht vor einem Schutthaufen. Der Hausmeister aus dem Haus gegenüber erscheint mit einem Besen in der Hand.

HAUSMEISTER:
Suchen Sie was?

ANNA:
…Ich habe einmal hier gewohnt.

HAUSMEISTER:
(deutet auf den Schutthaufen)

Auf Nummer 9? Die waren alle tot. Im Keller verschüttet. Da habens ein Glück gehabt, dass Sie…(mustert Anna) Muss aber schon länger her sein, ich bin seit 8 Jahren hier Hausbesorger – Sie sehe ich zum ersten Mal?

ANNA:
Bis 1938.

HAUSMEISTER:
(versteht – nach einer kurzen Pause) Naja, also da habens nix versäumt. Sie sehen ja selbst, wies uns ergangen ist. Die ganze Stadt haben sie uns zusammengebombt, kein Stein steht auf dem anderen, nichts Gescheites zum Fressen, seit Jahren schon, nichts zum Anziehen, die Männer an der Front. Nur Elend und Not, das kann sich keiner vorstellen, der das nicht mitgemacht hat. Sie können froh sein, Frau…Was schauens mich denn so an?

ANNA:
Ich war in Ravensbrück.

HAUSMEISTER:
Das kenn ich nicht, wo ist das?

ANNA:
Ich war im Konzentrationslager.

HAUSMEISTER:
Ach so…Da habens aber ein Glück gehabt…

ANNA:
Meine Eltern sind in Auschwitz…gestorben…

HAUSMEISTER:
Aber Sie habens wenigstens überlebt, ich sag ja, ein Glück haben Sie gehabt. Sie sind wieder da. Wir haben alle leiden müssen, schrecklich war das alles, ganz entsetzlich. Das kann sich keiner vorstellen – (seufzt auf) – aber jetzt ist es vorbei.

Anna steht mit gesenktem Kopf da. Der Hausmeister spricht weiter auf sie ein, tröstend und plädierend.

HAUSMEISTER:
Endlich Frieden. Jetzt müssen wir eben wieder ganz von vorne anfangen, alle miteinander. Was bleibt uns auch anderes übrig, nicht wahr? – Was haben Sie denn da für eine Nummer am Arm?

ANNA:
Das ist meine KZ-Nummer.

Der Hausmeister betrachtet die Tätowierung mit Interesse.

HAUSMEISTER:
So was…Und da hat ein jeder so eine Nummer eingestanzt gekriegt…So was…

Der Hausmeister stellt den Besen weg und kramt in seinen Hosentaschen.

HAUSMEISTER:
Habens vielleicht was zum Schreiben? Gehns, wärens so… Ah, da hab ich eh was…

Er findet einen Bleistift und ein zerdrücktes Stück Papier in der Tasche.

HAUSMEISTER:
Täts Ihnen was ausmachen, wenn ich mir die Nummer aufschreiben möcht…?

ANNA:
Aber wozu denn?

HAUSMEISTER:
(schreibt, spricht die Ziffern laut mit) Sieben…Ich spiel nämlich…8…3…Ich spiel nämlich im Lotto…So, jetzt hab ichs…Na, und wer weiß, vielleicht hab ich auch einmal ein Glück?

Anna sieht ihn fassungslos an.

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