Theaterstück, als Hörstück produziert
ORF 2012
Das Verhängnis der Liebe. Ein Stück über die Liebe. Unabdingbar findet man in ihrer Gefolgschaft die Verständnislosigkeit einer menschlichen Existenz für die nächste, auch die allernächste.
Wie mit diesem Bewusstsein leben?
ALINE – wartend auf den Ruf ihres Geliebten KANT, des Mannes, den sie seit ihrer Kindheit liebt, den sie verführt und der sie missbraucht hat – stellt sich diese Frage nicht.
Die Vereinigung mit Kant, im Tod nicht im Leben, ist das Ideal, dem Aline entgegenstrebt, ihr einziges Ziel.
Im zweiten Teil des Stückes hat Aline ihre Tat ausgeführt und das Ziel verfehlt. Der Liebestod fand nicht statt.
Kant lebt, umsorgt von seiner, der SCHWEIGENDEN FRAU, hadernd mit dem Schicksal, wütend und verzweifelt und krank vor Verlangen, Aline zurückzubekommen. Zwanghaft wiederholt er, was ihm passiert ist, was er erlitten hat, bis er am Ende allein ist, auch die „Schweigende“, die letzte seiner drei Sonnen, ihn verlässt. So, scheint es, bleibt ihm nur die Dunkelheit.
SCHWEIGENDE FRAU
(buchstabierend) H – I – HIT. – GRAM. – Missisippizufluss, zweiter Buchstabe H. Vier Buchstaben. Ah – Oh – Eh – Missisippi…
Der Bund fürs Leben: EHE. – Längster Fluss von Albanien…
KANT
Einmalige Hingabe, völlige Selbstaufgabe. Ich war doch nie in sie verliebt. Ja, ich bin mit ihr ins Bett gegangen, wenn sie mich irgendwo erwischt hat. Sie ist damals ständig irgendwo herumgestanden und hat mir aufgelauert, in der Früh im Kaffeehaus und in der Nacht vor dem Haus, im Auto, stundenlang, für den Fall, dass ich allein nach Hause komme. Ich hab sie nicht ernst genommen. Ein schwärmerisches junges Weib eben. Dann hat sie mich erwischt. Sie hat mich gezwungen, sie zu lieben. Und zwar lebenslänglich. Ich kann machen, was ich will. Ich komme nicht los.
SCHWEIGENDE FRAU
… Krank. Darre. Desperat.
KANT
Ich weiß, Schatz, du willst das nicht hören. Es ist aber ganz ehrlich gesagt. Die Aline hat mich dermaßen gepackt, dass ich ohne sie praktisch nicht leben kann. Ich will es gar nicht. Es ist einfach so.
SCHWEIGENDE FRAU
Hast du deine Tabletten schon genommen? Ich komme gleich, Bärli.
KANT
Mit meiner Liebe zu dir hat das nichts zu tun.
ALINE
Ich habe nichts von Bedeutung getan. Außer dass ich ihn dazu gebracht habe, mich zu lieben. Ja, das. Das schon. Ja, das war meine große Tat. Mein Lebenswerk!
Kant holt Alines gerahmtes Foto hervor und stellt es auf.
KANT
Was hast du schon alles getrieben, hat sie zu mir gesagt, und ich hab einen marmorweißen Körper. Aber wenn ich so zurückdenke, die wirklich Perverse ist doch sie.
Ich werde es nie begreifen. Ich kann nur immer wieder sagen, ich habe es nicht verstanden, ich habe es nicht mitgekriegt. Ich habe sie angeschaut, aber ich habe sie nicht durchschaut. Ich bin ein Idiot gewesen. Ein Narr. Wenn man sie anschaut –
ALINE
Stimmt es denn übrigens, dass nur die Taten zählen? Was ist mit den Gedanken? Den Worten? Der Poesie? Kann einer, der Kunst macht, was doch das Überflüssigste von allem ist, das, was die Menschheit am leichtesten entbehren kann, um zu überleben, kann so einer ausschließlich an Taten glauben? Der Künstler ist doch genau das Gegenteil eines Tatmenschen.
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