SALAM ALEIKUM, MEDEA

AUSGEZEICHNET MIT DEM EXIL-PREIS FÜR DRAMATIK 2013

Aufführung 2014 als szenische Leseperformance in den Wiener Wortstätten. Mit Tania Golden als Medea.

„Die Autorin Susanne Ayoub verlegt den Medea-Stoff in die Gegenwart und rollt dadurch die Problematik von Krieg und Gewalt, die Konfrontation von privatem Glücksstreben und politischem Druck neu auf. Eine Besonderheit des Textes ist die von der Autorin übersetzte arabische Lyrik, welche mit der sonst modernen (Umgangs)Sprache der Spielszenen kontrastiert und gleichzeitig einen unsentimentalen Blick auf Medeas Gefühlswelt gibt.“
(aus dem Jury-Spruch)

Ausschnitt aus SALAM ALEIKUM, MEDEA:

7.MEDEAS SCHLAFLIED FÜR IHRE KINDER. – 1. Teil

Medea
Wir lebten in einem weißen Haus mit einem Garten voller Bäume, Dattelpalmen und Kirsch- und Marillenbäume, mit Rosen und Lilien und Engelstrompeten. Meine Mutter Mona, mein Vater Adel, meine Schwestern Rima und Rana, mein Bruder Hussein. Ich war die Beste in der Schule, ich ging auf die Universität. Ich sollte später mit Hussein das Geschäft unseres Vaters übernehmen, die große schöne Apotheke im Zentrum unter den Arkaden.

Wir hörten die Reden nicht an. Wir sahen Hollywoodfilme. Meine Mutter liebte Robert Redford und Richard Gere, mein Vater schwärmte für Kim Basinger. Wir hassten die Aufmärsche, die Jubelszenen zum Geburtstag und zum Jahrestag der Machtergreifung. Wir verabscheuten „Ihn“.

Wir waren eine glückliche Familie. Politik ging uns nichts an. Das dachten wir, aber es war nicht richtig. Der Krieg ging uns dann alle an. Der Krieg hat das Leben zerstört, der Invasoren wie der Opfer. Es ist zu viel Blut geflossen, die Schuld ist zu groß. Und doch ist die Liebe daraus hervor gegangen. Jason und Medea, die füreinander bestimmt. Ihr seid die Kinder der Liebe.

Das ist die einzige Hoffnung auf Frieden, unsere Zukunft, Kinder, die keine Feinde haben, für die der Schrecken der Vergangenheit nur eine Geschichte ist und die Ermordeten Fotos aus einem alten Album.

MUSIK – die vom Geräusch des Sturmes langsam übertont und verschlungen wird.

8. NACHT. TRAUM.

Jason kommt nach Hause. Medea erwacht. Sie richtet sich auf.
Der Sturm heult.

9. IM FREIEN.

Nacht im Wüstenland. Der Khamsin bläst. Er trägt den Sand aus der Wüste mit sich. Ein Sturm, der alles erfasst.

Medea und Jason liegen umarmt. Der Sand weht über sie, er deckt sie zu, mehr und mehr, bis nichts mehr von ihnen zu sehen ist.

Overvoice Medea:
Wir waren vergiftet von Liebe
Du mein Schirm
Ich deine Decke
Wir wanderten auf der Straße
Aus Mondlicht
In unserem Traum
Die Freude tanzte vor uns her
Wir lachten wir liefen
Unseren Schatten
Davon.

(aus Al Atlal – Ruinen von Oum Kalthum, nachgedichtet S.Ay.)

Die Overvoice-Stimme bricht abrupt ab, als der Wohnungsschlüssel sich im Schloss dreht. Die Tür geht auf, knallt zu.

10. WOHNUNG

Medea liegt im dunklen Schlafzimmer. Jason kommt herein, er legt sich hin. Medea dreht das Licht auf.

Jason(erschrickt)
Warum schläfst du nicht? Es ist spät.

Sie streckt die Hand nach ihm aus, streichelt seinen Hals, er dreht sich um, so dass sie ihn nicht berühren kann.

Jason
Es ist spät.

Medea
Ich muss doch mit dir reden.

Jason
Nicht um diese Zeit.

Medea
Du bist nicht früher gekommen. Jason, es geht um unsere Kinder. Das kann dir nicht gleichgültig sein, selbst wenn ich…

Jason
Ich bin müde.

Medea
Müde von mir. Ich spüre es schon lange.

Jason
Medea…

Medea
Du widersprichst nicht.

Jason
(zögert) Ich widerspreche nicht.

Er dreht sich zu ihr, nimmt ihre Hand, drückt sie freundlich.

Jason
Wir werden reden, über alles. Ich verspreche es. Aber in Ruhe. Nicht in tiefster Nacht.

Medea
(zieht ihre Hand zurück) In Ruhe. Vernünftig. Ohne Emotionen. Ich kenne das alles in und auswendig. Lüge! Lüge! Lüge! Du hast sehr wohl Gefühle, du bekommst wie ich Herzklopfen, du empfindest Angst und Freude. Aber nicht meinetwegen. Du hast eine andere Frau, und ich soll still halten und es hinnehmen, damit du kein schlechtes Gewissen bekommst.

Jason
(lacht) Dein Deutsch ist großartig, wenn du dich ins Zeug legst, fehlerlos. Ich weiß gar nicht, warum du immer beklagst, dass du eine Fremde hier bist, du kannst schimpfen wie eine hiesige Ehefrau. (mustert sie) In Baghdad hättest du deinem Mann nicht solche Szenen gemacht. Das wagst du nur hier, wo du als Frau ein gleichberechtigtes Leben führst.

Medea
Gleichberechtigung! Du verdrehst die Wahrheit, Jason. Davon ist nicht die Rede, sondern von deiner Untreue. Du willst dich drücken. Du hast dich immer gedrückt.

Jason
Wie ich es satt habe, diese ewigen Vorwürfe und das Herumstochern in der Vergangenheit.

Medea
Ich habe leider nichts anderes. Mein Mann lässt mich mit den Kindern zu Hause und vergnügt sich auswärts.

Jason
Es ist vier Uhr morgens. Ich will schlafen.

Medea
Und kommt um vier Uhr nach Hause, ohne Erklärung. Das soll ich mir gefallen lassen? Das werde ich mir nicht gefallen lassen, Jason!

Jason
Was bleibt dir sonst übrig? Du wirst mich nicht ändern. Ich lasse mich von dir nicht an die Leine nehmen. Das war einmal, als ich mich schwach fühlte und dummerweise deine Hilfe in Anspruch nahm. Dafür werde ich nicht ein ganzes Leben büßen.

Medea
Ein Leben. Mein Leben. Du bist mein Leben, hast du gesagt. Das ist ein Versprechen, du kannst es nicht brechen.

Jason
Ich kann nicht? Ich kann doch.

Medea
Hast du keine Angst?

Jason
Willst du mir drohen? (lacht sie aus) Deine Zauberkunststücke wirken hier nicht. Du bist in der zivilisierten Welt gelandet, da zählen Wissenschaft und Vernunft. Und Gesetze, nicht zu vergessen. Also halte dich daran. Ich mag deine dunklen Ankündigungen nicht.

Medea
Du bist es, der die Gesetze missachtet hat. Du bist von deiner Einheit davon gelaufen, weil du zu feig zum Kämpfen warst. Du hast dich unter meinen Röcken verkrochen. Ich habe dich versteckt, obwohl mein Vater mich genauso wie dich getötet hätte, wäre er darauf gekommen.

Jason
Ich kam dir sehr gelegen. Du hast dich nicht gewehrt. Du wolltest mich.>
Das stimmt, stimmt es vielleicht nicht? Du hast gar nicht genug von mir kriegen können.

Medea
Es klingt häßlich aus deinem Mund. Ich war wehrlos gegen die Liebe. Ich bin es noch.

Jason
Liebe, nein. Von Liebe kann bei uns keine Rede mehr sein. Selbst der kleine Doro kapiert das. So eine Ehe hat keinen Sinn, sagt er.

Medea
Du legst ihm das in den Mund. Wie kann ein kleines Kind die Ehe begreifen?

Jason
Wo keine Liebe mehr ist, das merkt auch ein Kind.

Medea
Das wolltest du mir im Licht des Tages sagen, ohne Emotionen?

Jason
Ja.

Medea
Darf ich auch etwas dazu sagen?

Jason
Die Nacht ist bald um. Aber das ist dir egal, was?

Medea
Gehen wir fort.

Jason
Wohin denn? Dorthin zurück? Bist du nicht froh, dass du entkommen bist?

Medea
Die Welt ist groß. Wir können wieder zusammenfinden, Jason.

Jason
Vielleicht. Dafür müssen wir nicht fort. Wir sind weit genug herumgekommen. Unsere Geschichte folgt uns überall hin.

Medea kommt ihm näher, sie legt ihre Arme um ihn.

Medea
Willst du es versuchen? Jason! Jason, ist das wahr?

Jason
Lass uns schlafen. Lass uns noch einmal darüber schlafen, Medea.

Er nimmt sie in die Arme, sie legen sich nieder. Er löscht das Licht.